Tonnenweise Solidarität

Die Hilfsbereitschaft der Gerlinger Bevölkerung für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist riesig – Spedition Heck und CVJM organisieren Hilfstransport

Am Samstagnachmittag ist es so weit: Der erste der zwei 40-Tonner, die am vergangenen Donnerstag und Freitag in Gerlingen gestartet sind, trifft in Medyka ein. Von den ehrenamtlichen, polnischen Helfern wird der Fahrer, der sonst für die Gerlinger Spedition Heck vor allem im Italien-Verkehr im Einsatz ist, mit freudigen Gesichtern in Empfang genommen. Auf dem Hof vor der Sporthalle wird der LKW in Position gewunken, und kaum, dass der Motor abgestellt ist, beginnen die Helfer schon mit dem Abladen. Die beiden knapp 14 Meter langen Sattelzugauflieger – der zweite kommt einen Tag später an – sind bis unters Dach gefüllt mit Hilfsgütern aller Art: Schlafsäcke, Decken, Kleidung, Unterwäsche, Schuhe, Socken, Windeln, Spielsachen, Kuscheltiere, Bürsten, Kämme, aber auch Babynahrung, Energieriegel, Medikamente und Verbandsmaterial. Gesammelt innerhalb von nicht einmal zwei Tagen dank zahlloser Spenden von Menschen aus Gerlingen und Umgebung.

In Polen sind nach Angaben des Grenzschutzes seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine bis zum Montag schon mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland eingetroffen. Allein am Samstag hätten 129.000 Menschen die acht Grenzübergänge nach Polen überquert. Zu den wichtigsten gehört Medyka. Über das kleine polnische Dorf erreichen viele Geflüchtete das erste sichere Ziel. Sie kommen zu Fuß, im Auto, mit Bussen oder dem Zug, hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Männer bleiben zuhause, verteidigen ihr Land gegen die russischen Invasoren. Einige lachen, andere können nicht aufhören zu weinen. Am polnisch-ukrainischen Grenzübergang in Medyka warten Hunderte Menschen tagelang auf ihre Familien und Freunde aus der Ukraine.

Seit vielen Jahren beschäftigt das Gerlinger Familienunternehmen Heck Spedition rund ein Dutzend polnische und ukrainische Fahrer. Der Angriffskrieg von Russlands Diktator Wladimir Putin auf die Ukraine ist auch dort seit Tagen Gesprächsthema Nummer eins. Und vor allem die Frage: Wie kann man den ukrainischen Kriegsflüchtlingen rasch helfen? Einige der Fahrer stammen aus der südostpolnischen Grenzregion zur Ukraine. Kaum, dass dort die ersten Kriegsflüchtlinge eintrafen, gründeten Freunde, Bekannte und Verwandte in der polnischen Heimat eine Hilfsinitiative. Für Julia und Christoph Heck war schnell klar, dass sie ihre Fahrer dabei nach Kräften unterstützen. In Kooperation mit dem CVJM Gerlingen riefen sie zusammen mit Bürgermeister Dirk Oestringer bei der Kundgebung für Frieden in der Ukraine am Dienstagabend auf dem Rathausplatz die Gerlingerinnen und Gerlinger zu Spenden für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge auf – und der Ruf blieb nicht ungehört: Von morgens bis abends strömten Menschen auf den Rathausplatz, um Hilfsgüter aller Art abzugeben. Auch rund hundert Helfer sind spontan gekommen, um die Waren zu sortieren und verpacken. Andere wiederum versorgten die Helfer mit Essen, Kuchen und Getränken – es war eine große Demonstration gelebter Solidarität in Europa. „Das hätte ich nie gedacht“, sagte Julia Heck in einer ersten Reaktion, „mit so vielen Spenden und Helfern hätten wir nie gerechnet.“ Und so war schnell klar, dass der ursprünglich geplante, eine Lastwagen bei Weitem nicht reichen würde. Nachdem der erste Auflieger schon am Mittwochabend rappelvoll war, stellte die Spedition am Donnerstag spontan einen Zweiten auf dem Rathausplatz bereit. Auch dieser war binnen weniger Stunden gefüllt. Die frühere Lehrerin Tatjana Schröder, die aus Odessa stammt und seit rund 20 Jahren in Gerlingen wohnt, beschriftete die Kartons in ukrainischer Sprache, um den Helfern vor Ort die Arbeit zu erleichtern: „Ich will mit meinem ganzen Herzen helfen.“

Am Montag trifft auch der zweite LKW aus Gerlingen an der polnisch-ukrainischen Grenze ein. Dort laden die Helfer der lokalen Hilfsinitiative zunächst die Medikamente, Verbandsmaterial und Nahrungsmittel in kleinere Transporter um. Mit diesen bringen sie die am dringendsten benötigten Hilfsgüter nun in die westukrainische Stadt Lemberg (Lwiw). „Ständig kreisen Hubschrauber über der Stadt, man hört Detonationen – es ist ein bedrückendes Gefühl“, berichtet einer der Fahrer. Die Schlafsäcke, Decken, Kleider und Spielsachen werden in die verschiedenen Flüchtlingsunterkünfte und Sporthallen im polnischen Grenzgebiet verteilt. „Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber es ist ein Beitrag zum großen Ganzen“, betont Julia Heck, „und man hat das Gefühl, man sitzt hier nicht nur untätig und schaut zu, sondern man kann zumindest im Kleinen helfen.“ sr

Wir sagen DANKE!
Wir danken allen Menschen in Gerlingen und Umgebung für ihre riesige Hilfsbereitschaft zur Unterstützung ukrainischer Kriegsflüchtlinge! Wir danken allen Spendern, allen Helfern, allen, die die Helfer mit Essen und Getränken versorgt haben, anderen Gerlinger Vereinen und Unternehmen, die uns geholfen haben, der Stadt Gerlingen um Bürgermeister Dirk Oestringer und Hauptamtsleiterin Ulrike Hoffmann-Heer sowie den Mitarbeitern des städtischen Bauhofs für ihre großartige Unterstützung der Hilfsaktion und vor allem der Spedition Heck und ihren Fahrern!
Julia und Christoph Heck Steffen Rometsch
Spedition Heck CVJM Gerlingen
Der Rathausplatz wird zur Sammelstelle für den Hilfskonvoi nach Polen
Hans Scharna (links) vom CVJM und Bürgermeister Dirk Oestringer rufen zu Spenden für die ukrainischen Kriegsflüchlinge auf
Vor dem Rathaus stapeln sich die Waren
Der Lastwagen wird bis auf den letzten Zentimeter vollgepackt.
Unzählige Kartons werden verladen…
…teils auch auf ukrainisch beschriftet
Julia Heck hat die Spendenaktion zusammen mit ihrem Vater Christoph ins Leben gerufen
Im polnischen Medyka werden die Lastwagen wieder entladen
Medikamente, Verbandsmaterial und Nahrungsmittel bringen die polnischen Helfer mit Kleinbussen nach Lemberg direkt ins Kriegsgebiet
Kleidung, Decken und Schlafsäcke werden in die Flüchtlingsaufnahmezentren verteilt